Rechtsfragen des § 8 Abs. 3 Hs. 2 Arbeitnehmerentsendegesetz III — Prozesse und Fazit
5. Darlegungs- und Beweislast im Prozess
Schon seit jeher sah das Bundesarbeitsgericht die Last des substanziierten Bestreitens auf Seiten der Betriebe, die sich einer Beitragspflicht widersetzten. Zwar sagen die Entscheidungen scheinbar das Gegenteil, wonach die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in einem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend baugewerbliche Tätigkeiten verrichtet werden, den Sozialkassen obliege (BAG vom 18.05.2011, 10 AZR 190/10). Allerdings ist deren Sachvortrag bereits dann schlüssig, wenn nur Tatsachen vorgetragen werden, die den Schluss rechtfertigen, der Betrieb des Arbeitgebers werde vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV-Bau erfasst. (BAG vom 16.06.2010, 4 AZR 934/08)
Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die ULAK jede Einzelheit der behaupteten Tätigkeiten vorträgt. Somit dürfen, wenn Anhaltspunkte für einen Baubetrieb vorliegen, auch nur vermutete Tatsachen behauptet und unter Beweis gestellt werden. Liegt ein entsprechender Tatsachenvortrag vor, hat sich der Arbeitgeber hierzu nach § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO vollständig und wahrheitsgemäß unter Angabe der maßgeblichen Tatsachen zu erklären. Ihm obliegt regelmäßig die Last des substanziierten Bestreitens, weil der Kläger außerhalb des Geschehensablaufs steht und keine näheren Kenntnisse der maßgebenden Tatsachen hat, während der Arbeitgeber sie kennt und ihm die entsprechenden Angaben zuzumuten sind. (BAG vom 14.03.2012, 10 AZR 610/10)
Faktisch entscheidet die Last des substanziierten Bestreitens den Großteil solcher Beitragsprozesse. Es fällt den Sozialkassen relativ leicht, ihre Anhaltspunkte zum Bestehen von Bautätigkeiten vorzutragen, während in den betroffenen Unternehmen oftmals keine Aufzeichnungen über die durchgeführten Tätigkeiten vorliegen oder geführt werden.
Im Anwendungsbereich des § 8 Abs. 3 Hs. 2 AEntG liegen nun aber zwei Dinge anders. Denn weder ist der Verleiher mangels eigener Beobachtung in der Lage, genauer zu ermitteln oder darzulegen, welche Tätigkeiten konkret durch die überlassenen Arbeitnehmer im Betrieb des Entleihers ausgeübt werden; noch vermag er zu sagen, wie hoch der zeitliche Anteil der Tätigkeit der Leiharbeitnehmer ist, der auf solche „Bautätigkeiten“ entfällt. Sowohl das „ob“ als auch der Umfang dieser Einsätze kann der Verleiher nicht aus eigener Anschauung beschreiben.
Die Parallele zu mit den Fällen, in denen ausländische Unternehmen mindestlohnpflichtige Tätigkeiten in Deutschland ausüben, für die der deutsche Auftraggeber im Rahmen der Subunternehmerhaftung nach § 14 AEntG haftet, liegt auf der Hand. In diesen Fällen sieht die Rechtsprechung die Sozialkassen in einer weiter gehenden Pflicht und gesteht den haftenden Unternehmen Beweiserleichterungen zu, die vor allem in einem Bestreiten mit Nichtwissen liegen. Die vom Gesetzgeber mit der Bürgenhaftung verfolgten Ziele erfordern nämlich nicht, dass ein als Bürge haftender Unternehmer sich über die von der ULAK behauptete Zahl der vom Subunternehmer eingesetzten Arbeitnehmer und deren von der ULAK behaupteten Einsatzzeiten sich nicht gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären könne. (BAG vom 02.08.2006, 10 AZR 688/05)
Die Sachverhalte sind in jeder Hinsicht vergleichbar. Anders als in den Fällen, in denen es um die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer geht, fehlen dem Auftraggeber, der als Bürge haftet wie auch dem Verleiher, der seine Arbeitnehmer Entleihern zur Arbeitsleistung überlässt, sämtliche Kontrollmöglichkeiten, um die Tätigkeiten der eingesetzten Arbeitnehmer zu bewerten. Es ist daher den betroffenen Unternehmen das Recht zuzubilligen, Bautätigkeiten gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen zu bestreiten.
Dasselbe gilt für die Anspruchshöhe. Die ULAK erhebt hier in der Praxis regelmäßig Mindestlohnklagen, nimmt Durchschnittslöhne und multipliziert diese mit der Anzahl der ihr im beitragspflichtigen Unternehmen bekannten Arbeitnehmer. Diese Praxis findet die Billigung der Rechtsprechung (BAG v. 03.05.2006 – 10 AZR 344/05). Sie setzt allerdings voraus, dass aufgrund des Überwiegensprinzips alle Arbeitnehmer des Betriebes beitragspflichtig sind, wenn nur der Betrieb als Ganzes der Beitragspflicht unterfällt. Sofern diese in einem ersten Schritt bewiesen worden ist, bestehen gegen die Erhebung der Mindestlohnklagen daher keine Einwände.
Diese Voraussetzung fehlt allerdings bei Klagen nach § 8 Abs. 3 Hs. 2 AEntG. Hier kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass alle Arbeitnehmer im Betrieb des Verleihers der Beitragspflicht unterfallen, denn der Zweck des Betriebes ist die Arbeitnehmerüberlassung und nicht die Ausübung von Bautätigkeiten. Anders als in den Fällen, in denen der Kläger nur schlagwortartig zu einem Baubetrieb vortragen muss, um eine Beweislastumkehr herbeizuführen, geht es hier um den schlüssigen Vortrag der Anspruchshöhe, für die die Rechtsprechung des BAG zur Beweislastverteilung (vgl. BAG v. 20.04.2005, 10 AZR 282/04) für die Frage, ob es sich bei einem Betrieb um einen Baubetrieb handelt oder nicht, daher nicht gilt, da es in diesen Fällen um den Anspruchsgrund, nicht aber um die Anspruchshöhe geht.
6. Fazit
- §8 Abs. 3 Hs. 2 AEntG ist eine in jeder Hinsicht missglückte Norm, gegen die auch verfassungsrechtliche Bedenken sprechen. Um die Vorschrift einigermaßen handhabbar zu machen, ist sie um einen Gewerbebezug zu ergänzen. So können nur Tätigkeiten Mindestlohn- oder beitragspflichtig sein, die gewerbetypisch sind und zusätzlich aus Rechtsgründen diesem Gewerbe zugerechnet werden. Auch neutrale‑, Hilfs oder „Sowohl-als-auch“-Tätigkeiten müssen einem Gewerbe zugerechnet werden und lösen nur, wenn sie nach einer entsprechenden Zuordnung baugewerbetypisch sind, Beitrags- oder Mindestlohnansprüche aus.
Sozialkassen tragen im Prozess über die Höhe ihrer Ansprüche die Darlegungs- und Beweislast, wobei sich der betroffenen Verleiher hierzu gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären kann.