Versicherungspflicht eines Hundeführers
SGB VII § 8 Abs 1 S. 1, § 2 Abs 1 Nr 1; SGB IV § 7 Abs 1 S 1 und S 2
- Für den Begriff der Beschäftigung in § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII gelten die gesetzlichen Wertungsmaßstäbe des § 7 Abs 1 SGB IV.
- Ein Hundeführer, der koordiniert mit anderen Beteiligten in einer Jagd tätig wird und regelmäßig Weisungen per Funk erhält, ist beschäftigt gem. §§ 7 Abs 1 SGB IV; 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII
BSG, Urteil vom 06.09.2018 — B 2 U 18/17 R
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Stöberhundeführer während einer Jagd am 3.12.2013 einen Arbeitsunfall erlitten hat. Der Kläger züchtet und bildet nebenberuflich Jagdhunde aus. Mit seinen Hunden ist er ca. zehnmal im Jahr in verschiedenen Jagdrevieren als Treiber tätig. Am Unfalltag leistete er Treibdienste für eine Schwarzwilddrückjagd im Jagdrevier der Beigeladenen. Diese hatte ihn angefordert und beauftragt, in einem zugewiesenen Areal mit zwei Stöberhunden eigenständig Schwarzwild aufzustöbern, heraus zu jagen und vor die Schützen zu bringen. Um kurzfristige Anweisungen entgegenzunehmen, führte er ein Funkgerät mit sich; konkrete Anweisungen der Jagdleitung hatte er zu befolgen. Die Beigeladene zahlte ihm für seine gesamte Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 45 EUR. Als er während der Jagd seinen Hunden nacheilte, stolperte er, prallte mit dem Gesicht gegen einen Baum und zog sich dabei erhebliche Verletzungen zu.
Im Streit stand, ob die Treibdienste gem. § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII als versicherte Tätigkeit anzusehen seien, weil der Kläger gem. § 2 Abs 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versicherter Beschäftigter ist, oder ob der Kläger — dann ohne Leistungspflichten der Beklagten — unternehmerähnlich tätig geworden ist.
Entscheidung
Das BSG nahm eine Beschäftigung des Klägers unter Berücksichtigung der auch in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden gesetzlichen Wertungsmaßstäbe des § 7 Abs 1 SGB IV an. Der Kläger war vollständig in die Jagdorganisation der Beigeladenen eingegliedert und hat deshalb eine zeitlich begrenzte unselbständige Arbeit verrichtet, obwohl einige Argumente wie z.B. die Nutzung eigener „Arbeitsmittel“ auch für das Gegenteil sprechen. Die Drückjagd stellt eine klassische Form arbeitsteiligen Zusammenwirkens dar, die höchst koordiniert ablaufen müsse, um erfolgreich zu sein. Dafür muss sich jeder Stöberhundeführer in die Gesamtplanung der Drückjagd einpassen. Für eine Weisungsgebundenheit des Klägers gegenüber der Jagdleitung spricht auch, dass der Kläger ein Funkgerät bei sich geführt hatte, um kurzfristige Anweisungen entgegenzunehmen. Das ist mehr als eine bloß — weisungsfreie — Koordination und Integration, wie es das Berufungsgericht annahm.
Einer „Beschäftigung“ des Klägers iS des § 8 Abs 1 S 1 iVm § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII steht nicht entgegen, dass er für seine Tätigkeit nur eine Aufwandsentschädigung und kein Arbeitsentgelt erhielt. Die Kriterien für das Vorliegen eines “Auftrags” mit Rechtsbindungswillen iS des § 662 BGB überwiegen die Kriterien für eine nur (außerrechtliche) Gefälligkeit insoweit klar. Danach ist die erforderliche vertragliche Bindung insbesondere dann zu bejahen, wenn wesentliche Interessen rechtlicher oder wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und sich der Auftraggeber auf die Leistungszusage des Auftragnehmers verlässt. Da sich nach den Feststellungen des LSG “jeder Stöberhundeführer perfekt in die Gesamtplanung der Drückjagd einpassen (müsse), um den Erfolg der Jagd zu garantieren”, hat sich die Beigeladene als Veranstalterin der Drückjagd auf die Teilnahme des Klägers verlassen, um die Jagd — ihrem wirtschaftlichen Interesse entsprechend — “koordiniert” und erfolgreich durchzuführen.
War der Kläger somit als “Beschäftigter” für die Beigeladene tätig, entfällt damit zugleich die nachrangige Wie-Beschäftigung, weil die Versicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII einer Versicherung nach § 2 Abs 2 S 1 SGB VII vorgeht.
Praxishinweis
Die Entscheidung betrifft vordergründig einen Einzelfall des Unfallversicherungsrechts. Bei genauerem Hinsehen geht es jedoch um klassische Abgrenzungsprobleme zu der Frage, ob eine versicherungspflichtige Beschäftigung gem. § 7 Abs 1 SGB IV vorliegt. Und so exotisch der Sachverhalt klingt, so sehr lässt er sich auf häufig vorkommende und aktuelle Fälle gerade aus dem IT-Bereich übertragen: Genau wie bei einer Jagd koordiniert und arbeitsteilig durch Beteiligte gearbeitet wird, die in ihrem Bereich hoch qualifiziert und jedenfalls über längere Abschnitte weisungsfrei tätig sind, ist dies bei allen Formen agilen Arbeitens wie z.B. „Scrum“ der Fall. Auch hier wechseln ständig Abstimmungs- und Koordinationsleistungen mit weisungsfrei erfüllten Arbeitsschritten („Sprints“). Ist diese Abstimmung nun eine bloße Koordination Selbstständiger oder doch Ausübung eines Weisungsrechts bzw. eine „Eingliederung“ in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers gem. § 7 Abs 1 S 2 Alt 2 SGB IV?
Das Berufungsgericht nahm ein Weisungsrecht an und hatte vor allem die ständigen Abstimmungen zwischen Jagdleitung und Treibern als wesentlich für die Annahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gewertet. Das wurde vom BSG revisionsrechtlich nicht beanstandet. Warum bzw. wann eine Abstimmung im Sinne einer Koordination nicht auch unter Selbstständigen stattfinden kann, wurde leider nicht genauer beleuchtet. Das ist bedauerlich, weil dieser Fall mit seiner aufgrund der Einmaligkeit des Vorganges niedrigeren Komplexität ohne das Zeitmoment der Eingliederung die Möglichkeit zu sehr grundsätzlichen Ausführungen gegeben hätte.
Gegen eine Beschäftigung spricht jedenfalls das erhebliche Know-How des Treibers, die Möglichkeit zur Entscheidung über den Einsatz — eigener — Betriebsmittel (der Hunde) und die Entscheidung über das „Wie“ der Anweisungen des Treibers an seine Hunde. Da auch nach der Rechtsprechung des BSG (v. 18.11.2015 — B 12 KR 16/13 R) in Grenzfällen immer die durch die Parteien gewählte Rechtsform vorgehen soll, wäre es jedenfalls naheliegender gewesen, eine Beschäftigung und damit auch einen Arbeitsunfall des Hundeführers abzulehnen.
Rechtsanwalt Jörg Hennig, Berlin