Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen und Säumniszuschlägen aufgrund von Lohnschätzungen rechtmäßig
Nachforderungen von Gesamtsozialversicherungs- und Umlagebeiträgen, die sich erst aufgrund einer nachträglich festgestellten – und in der Höhe geschätzten – Arbeitsentgeltdifferenz wegen eines ungültigen Tarifvertrags ergeben, sind rechtmäßig. Das hat das BSG in seinem Urteil vom 04.09.2018 entschieden (Az. B 12 R 4 /17R).
Entscheidend ist das Entstehungsprinzip
Das Gericht entschied: Für die Beitragsfestsetzung sei es unerheblich, dass den Leiharbeitnehmern die ihnen aufgrund des unwirksamen Tarifvertrages nach den Equal-Pay-Grundsätzen zustehenden erhöhten Arbeitslöhne noch nicht zugeflossen sind. Ausschlaggebend für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag sei der dem Arbeitnehmer zustehende, nicht der tatsächlich gezahlte Lohn (sog. Entstehungsprinzip). Irrelevant ist, ob, von wem und in welcher Höhe dieser Anspruch im Ergebnis durch Entgeltzahlung erfüllt wird. Der Zufluss von Arbeitsentgelt ist nur entscheidend, soweit der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehr leistet als unter Beachtung der gesetzlichen, tariflichen oder einzelvertraglichen Regelungen geschuldet ist, also überobligatorische Zahlungen erbracht werden. Unerheblich ist zudem, ob der einmal entstandene Entgeltanspruch vom Arbeitnehmer (möglicherweise) nicht mehr realisiert werden kann. Das gelte auch für die Beitragspflicht, die aufgrund des Equal-Pay-Arbeitsentgeltanspruchs bestehe, so das Gericht.
Schätzungen rechtmäßig
Weigert sich das Unternehmen Auskünfte über die Löhne der Stammbelegschaft zu geben, kann der Versicherer die Arbeitsentgeltdifferenz zwischen der Stammbelegschaft und den Leiharbeitern z.B. mit Hilfe der Studie „Lohndifferenzial Zeitarbeit“ des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzen und einen Beitragssummenbescheid erlassen. Gleiches gilt, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht verletzt, nach der für jeden Beschäftigten außerhalb privater Haushalte, getrennt nach Kalenderjahren, Lohnunterlagen im Geltungsbereich des SGB in deutscher Sprache zu führen sind.
Eine solche Schätzung geht laut BSG aber nur, wenn die maßgeblichen Entgeltansprüche der Arbeitnehmer nicht ohne unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand ermittelt werden können (§ 28 f I SGB IV). Von einer fehlerfreien Schätzung ist dann auszugehen, wenn sie so exakt vorgenommen worden ist, wie es bei vertretbarem Verwaltungsaufwand möglich ist, sich auf sorgfältig ermittelten Tatsachen gründet und nicht gegen Logik – bzw., um das BSG zu zitieren, „Denkgesetze und Erfahrungssätze“ – verstößt.
Für die Praxis
Fordert der Versicherungsträger berechtigt Auskünfte über die Löhne der Arbeitnehmer, sollten sich die betroffenen Unternehmen lieber kooperativ zeigen und darauf eingehen. Denn wie dieser Fall zeigt, ist der Versicherungsträger durchaus berechtigt, Schätzungen über die Lohnhöhe vorzunehmen, sofern die Lohnermittlung nur unter unverhältnismäßig hohem Verwaltungsaufwand möglich ist. Das kann natürlich zur Folge haben, dass die Löhne deutlich höher geschätzt werden, als sie tatsächlich sind. Im vorliegenden Fall wurden Gesamtversicherungsbeiträge in Höhe von über 119.000 EUR sowie Säumniszuschläge in Höhe von über 22.500 EUR nachgefordert. Ungeklärt blieb in dieser Instanz jedoch, inwieweit Verjährung eingetreten sein könnte.
Um zu prüfen, wie weit die Auskunftspflicht gegenüber dem Versicherungsträger reicht und wann ggf. von einer Verjährung der Beitrags- und Säumniszuschlagsansprüche auszugehen ist, ist es ratsam, einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin hinzuzuziehen. Wir von AMETHYST Rechtsanwälte unterstützen Sie gerne.